Jost von Morr

Des Kaisers kleine Leute

Mit Bonusfilm: Seine Majestät Wilhelm II.

DVD 2004 Chronos ca. 75 Min. ca. 8 €

Des Kaisers kleine Leute

Die liebevoll aufgemachte DVD enthält zwei Filme: Den 45minütigen Hauptfilm über das Leben „der kleinen Leute“ unter Wilhelm II. sowie als Bonus eine 30minütige Filmbiographie über den Kaiser.

„Des Kaisers kleine Leute“, in den 1980er Jahren vom renommierten Dokumentarfilmemacher Jost von Morr produziert, ist eine Besonderheit unter den Filmen über das Kaiserreich: Nicht der Kaiser selbst steht im Mittelpunkt, sondern das alltägliche Leben seiner Bewohner. Dabei konzentriert sich der Film insbesondere auf die Arbeiterschaft. Es waren ja die Arbeiter, die die große Mehrheit der Deutschen ausmachte – mit stets stark wachsender Tendenz: „Nur noch ein Viertel der Deutschen lebte damals von der Landwirtschaft.“

Durch eindrucksvolle Aufnahmen aus Fabriken, Hochöfen und Zechen wird das harte Arbeitsleben der Zeit lebendig; die ärmlichen gezeigten Wohnbedingungen erschüttern den heutigen Betrachter:
Im Jahre 1900 haben in Berlin fast 50% aller Haushalte nur ein Zimmer.
Freilich, das Kaiserreich nahm keine negative Sonderstellung ein: „Überall in der Welt bewirken rapide Industrialisierung und der Massenzug vom Land in die Stadt Wohnungsnot in den Slums.“

Fabrikarbeiterinnen bei Maggi, ca. 1900

Trotz aller gezeigter Not – die ständigen Fortschritte werden klar genannt: „Abgeschreckt durch die schlimmen Auswüchse in England hat Deutschland die Kinderarbeit gesetzlich eingeschränkt […] Die Leistungen der staatlichen Sozialfürsorge sind vorbildlich in Europa. […] Lohn und Konsum der Arbeiter haben sich durch den Aufschwung spürbar gehoben. Die Löhne in der Industrie steigen trotz Teuerung schneller als die Preise.“
Schließlich das Fazit: „Die Lage des arbeitenden Volkes hatte sich bis zum Ausbruch des Krieges erheblich verbessert.“

Erhellende Bilder liefert der Film auch zur freien Zeit der Arbeiter: Erholung und Amusement auf Rummelplatz und Oktoberfest, in Arbeitervereinen, bei Radrennen und Fußball, beim Baden in den „neuen Freibädern“, in hunderttausenden Schrebergärten.

Besonders deutlich wird, daß die große Mehrheit der Arbeiter treu zu Kaiser und Reich stand, auch wenn sie SPD wählte: „Die meisten Arbeiter wählen sozialdemokratisch – und fühlen national.“ Und: „Arbeiter demonstrieren am 1. Mai – und jubeln am Geburtstag dem Kaiser zu“. Bei Kriegsausbruch 1914 meldeten sich auch die Arbeiter in Scharen freiwillig: „Diese Arbeiter haben ein Vaterland. Sie ziehen in den Krieg, weil sie sich als Bürger dieses Staates fühlen.“, so der Autor.

Natürlich spart der Film auch nicht an berechtigter Zeitkritik: die gesellschaftliche Isolation der Arbeiter (die Wilhelm II. überwinden wollte, was jedoch nicht gelang), oft sinnloser Drill in Schule und Armee, die generelle Überschätzung des Militärischen.

Fazit

Dem Film gelingt es, das Leben der Arbeiterschaft im Kaiserreich sehr lebendig zu machen. Die Bilder sind eindrucksvoll und bewegend, ergänzt durch einen Audiokommentar, der immer wieder erhellende Daten zu den Bildern liefert und – mit sehr wenigen Ausnahmen – ausgewogen ist.

Kritisiert werden muß lediglich zweierlei:
1. Der Alltag des Bürgertums wird nur am Rande behandelt (schließlich war das Bürgertum der aufstrebende Stand im Wilhelminismus und ist zum Verständnis der Zeit unverzichtbar.)
2. Auch wenn es primär um den „kleinen Mann“ gehen soll, hätte Wilhelm II. im Film mehr Erwähnung verdient, z.B. sein stetiges Bemühen, die Stellung der Arbeiter zu verbessern.

Insgesamt empfehlenswert!