28. Juli 1914, 10 Uhr
Wilhelm II.: Handschreiben an den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes

An den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes
Berlin, 28.07.1914, 10 Uhr vormittags

Ew. Exzellenz,

Nach Durchlesung der Serbischen Antwort, die ich heute Morgen erhielt, bin ich der Überzeugung, daß im Großen und Ganzen die Wünsche der Donaumonarchie erfüllt sind. Die paar Reserven, welche Serbien zu einzelnen Punkten macht, können M. Er. nach durch Verhandlungen wohl geklärt werden. Aber die Kapitulation demütigster Art liegt darin orbi et urbi verkündet, und durch sie entfällt jeder Grund zum Kriege.

Falls Ew. Exz. diese meine Auffassung teilen, so würde ich vorschlagen Österreich zu sagen:
Der Rückzug Serbiens in sehr demütigender Form sei erzwungen, und man gratuliere dazu. Natürlich sei damit ein Kriegsgrund nicht mehr vorhanden. Wohl aber eine Garantie nötig, daß die Versprechungen ausgeführt würden. Das würde durch die militärische vorübergehende Besetzung eines Teils von Serbien wohl erreichbar sein. (Ähnlich wie wir 1871 in Frankreich Truppen stehen ließen, bis die Milliarden gezahlt waren.)

Auf dieser Basis bin ich bereit, den Frieden in Österreich zu vermitteln.

gez. Wilhelm I.R.

Bis zuletzt hatte Wilhelm II. versucht, durch intensive Korrespondenz mit den europäischen Regenten den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu verhindern, z.B. in einem Telegramm an den russischen Zaren:
„Lieber Nicky, laß es nicht soweit kommen!“

Das links dargestellte Handschreiben richtete der Kaiser an den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Darin sieht er durch die serbische Antwort auf das fatale österreichische Ultimatum die erlösende Möglichkeit zur Konfliktlösung: „durch sie entfällt jeder Grund zum Kriege“.

Auch dieses Dokument ist ein weiterer Beleg dafür, daß Wilhelm II. den Krieg nicht wollte und ihn bis zuletzt zu verhindern versuchte – freilich letztlich erfolglos.

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