Zu Besuch beim Kaiser in Doorn

von Dr. Karlheinz Weißmann

In Deutschland ist „Haus Doorn“ kaum noch ein Begriff. Die Tatsache, daß der Exilwohnsitz des letzten Kaisers in der Provinz Utrecht in den Niederlanden zwar Besucher anzieht, darunter aber nur ein Viertel von den Deutschen gestellt wird, drei Viertel von den Niederländern, spricht für sich. Die Niederländer betrachten den Herrensitz, dessen heutige Gestalt auf das 18. Jahrhundert zurückgeht, in erster Linie als Sehenswürdigkeit der schönen Provinz Utrecht; man kommt, um den Garten zu genießen und die Inneneinrichtung – die seit dem Tod Wilhelms II. unverändert blieb – zu bestaunen. Die Deutschen sehen, von Ausnahmen abgesehen, in Haus Doorn höchstens ein Kuriosum.

Niemand beklagt das mehr als die Verwaltung von Haus Doorn, die die Erinnerungsstätte nur mit Mühe erhalten kann. Die Mitgliedschaft in der „Stiftung Preußische Schlösser und Gärten“ bedeutet jedenfalls nur eine kleine Hilfe, die Regierung im Haag interessiert sich kaum, ist eher darauf aus, einen Kostenfaktor zu beseitigen. Das nach dem Zweiten Weltkrieg von den Niederlanden als Feindbesitz beschlagnahmte Schloß mit seinem Inventar und dem umliegenden Park befindet sich jedenfalls in einer immer etwas prekären finanziellen Lage. Umso bemerkenswerter ist die Liebe, mit der Haus Doorn gepflegt wird, die Hingabe, mit der die ehrenamtlichen Helfer die Führungen durch das Haus absolvieren.

Der Erwerb von Haus Doorn durch Wilhelm II. war im Grunde eine Verlegenheitslösung. Nach dem Grenzübertritt in die Niederlande am 11. November 1918 mußte der Kaiser für zwei Jahre die Gastfreundschaft des Grafen Aldenburg-Bentinck auf Schloß Amerongen, wenige Kilometer entfernt, in Anspruch nehmen. Die niederländische Regierung war der Bitte um Gewährung von Asyl nachgekommen und hatte das Auslieferungsersuchen der Alliierten zurückgewiesen. Allerdings verlangte sie von Wilhelm die Unterzeichnung einer Erklärung, in der dieser versprach, sich als Privatmann zu verhalten und das von ihm gewählte Domizil nicht ohne Erlaubnis zu verlassen.

Die Suche nach einem angemessenen Haus für den Kaiser, mit der man schon früh in aller Diskretion begonnen hatte, gestaltete sich schwieriger als erwartet, und die Entscheidung zugunsten von Haus Doorn fiel letztlich aus Mangel an Alternativen. Eigentlich fand der Kaiser das Gebäude zu klein. Allerdings sagte ihm der Park von beinahe 60 ha zu und die Möglichkeit, die Nebengebäude umzugestalten und zu ergänzen. Der Kauf wurde am 16. August 1919 abgeschlossen, am 1. November konnten die Baumaßnahmen beginnen. Im Mittelpunkt stand dabei neben der Modernisierung des Haupthauses die Errichtung des Torgebäudes, das nicht zuletzt der Bewachung des Gesamtareals diente – eine notwendige Sicherungsmaßnahme, auch weil es in der Anfangszeit immer wieder zu Entführungsversuchen gekommen war.

Die bis heute erhaltene prachtvolle Einrichtung von Haus Doorn verdankt sich in erster Linie der Freigabe des direkt nach dem Sturz der Monarchie eingefrorenen Vermögens Wilhelms II. Zu der Abmachung mit dem republikanischen Deutschland gehörte auch, daß dem Kaiser gestattet wurde, aus seinen Schlössern und sonstigen Besitzungen Gegenstände nach Doorn zu holen. Bereits im September 1919 waren die ersten einundfünfzig Eisenbahnwaggons mit Glas, Geschirr, Porzellan, Möbeln und Kunstwerken eingetroffen, ein gutes halbes Jahr später, am 15. Mai 1920, konnten der Kaiser und die Kaiserin Haus Doorn beziehen.

Die Ausstattung des Schlosses entsprach in vielem Wilhelms persönlichen Bedürfnissen, was etwa die Einrichtung von Privaträumen und Bibliothek anging, aber auch dem nach wie vor vitalen Wunsch nach Repräsentation und Inszenierung des kaiserlichen Anspruchs. In diesen Zusammenhang gehörte etwa die Betonung der engen Verwandtschaft von Hohenzollern und Oraniern, dem in den Niederlanden regierenden Haus, und die demonstrative Bezugnahme auf seine bedeutenden Vorfahren, insbesondere Friedrich den Großen und Wilhelm I. Bei den meisten der in Haus Doorn aufgestellten Stücke handelt es sich naturgemäß um Antiquitäten. Der Gesichtspunkt des bleibenden Anspruchs Wilhelms II. kam allerdings deutlicher zum Ausdruck in einer zeitgenössischen Arbeit, jenem über einen Meter hohen Tafelaufsatz aus Silber in Gestalt eines Wikingerschiffs, dessen Schilde die Wappen der Bundesfürsten darstellten. Ursprünglich sollte diese Allegorie des Reiches dem Kaiser aus Anlaß seines 25. Thronjubiläums 1913 überreicht werden; dazu kam es aber nicht, weshalb ihm die auftraggebenden ehemaligen Landesherrn das kostbare Kunstwerk erst 1926 nach Doorn schicken ließen.

Wenn man den Aspekt der Kontinuität hervorhebt, zu dem auch der Versuch gehörte, eine Art Hofstaat en miniature zu erhalten, ist aber gleichzeitig darauf hinzuweisen, daß Wilhelm sich im Exil stärker seinen privaten Interessen widmen konnte, etwa der Vorgeschichte und religionswissenschaftlichen Fragestellungen, die in der „Doorner Arbeitsgemeinschaft“ diskutiert wurden, der unter anderem der berühmte Völkerkundler Leo Frobenius oder der Archäologe Wilhelm Dörpfeld angehörten. Das immer wieder zum Gegenstand bösartiger Karikatur dienende Holzhacken im angrenzenden Wald diente nur der körperlichen Übung des Kaisers, der im übrigen ein sehr maßvolles und im Grunde bescheidenes Leben führte. Das erklärt auch das freundliche Andenken, das die Doorner Wilhelm bis heute bewahren, zusammen mit der Tatsache, daß man im Ort überhaupt weiß, was man dem exilierten Kaiser zu verdanken hat.

Wilhelm II. im Jahre 1930 in Doorn

Die Hoffnung auf eine Rückkehr hat Wilhelm II. nach seinem Sturz verhältnismäßig rasch aufgegeben. Die beiden letzten Lebensjahrzehnte sollte er in Doorn verbringen. Seine Frau, Kaiserin Auguste Victoria, starb bereits 1921 und wurde auf eigenen Wunsch nach Potsdam übergeführt – Gelegenheit der letzten Massendemonstration monarchischer Gefühle durch das Volk. Wilhelm selbst legte testamentarisch fest, daß er erst nach erfolgter Restauration in Deutschland bestattet werden wolle. Er entwarf eigenhändig das Mausoleum, das dann im Park von Haus Doorn errichtet wurde und nach seinem Tod 1941 zu seiner letzten Ruhestätte wurde. Die Schlichtheit und Würde des Gebäudes beeindrucken auch den heutigen Besucher. Am Äußeren hat Wilhelm jeden Hinweis auf seinen kaiserlichen Rang vermieden, über dem Eingang sieht man schlicht das Familienwappen der Hohenzollern in seiner mittelalterlichen Gestalt. Man kann in dieser Zurückhaltung auch ein Symbol sehen für die alte Wahrheit, daß sich der eigentliche Charakter eines Menschen erst im Unglück enthüllt; sie gilt auch für entthronte Herrscher, jedenfalls für den letzten deutschen Kaiser.

Besuchen auch Sie den Kaiser!

Haus Doorn ist heutzutage ein öffentlich zugängliches Museum. Die ursprüngliche Einrichtung ist intakt geblieben, die Wohn- und Wirtschaftsräume können besichtigt werden, z.B. das Arbeitszimmer Wilhelms II. oder das Sterbebett der Kaiserin Auguste Victoria. Während der Führungen bringen die Führer die Geschichte des Kaisers zum Leben. Auch erklären sie den Gästen die Hintergründe der einzigartigen Kunstsammlung, die Haus Doorn darstellt.

Weitere Infos zu Haus Doorn (Öffnungszeiten, Anfahrt etc.)